WÄREN AUSGANGSSPERREN MÖGLICH?

STAATLICHE MAßNAHMEN

Die Bund und Länder haben nun anders entschieden und lediglich ein sog. “Kontaktverbot” verhängt. Wäre allerdings eine Ausgangssperre überhaupt zulässig gewesen bzw. wird sie es noch sein, falls der Versuchslauf in den nächsten 14 Tagen nicht ausreichend Erfolg zeigt?

Zunächst kennt das Infektionsschutzgesetz den Begriff „Ausgangssperre“ so gar nicht. Es beschränkt sich viel mehr auf die recht generelle Formulierung, dass die zuständige Behörde die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ trifft, soweit dies zur Eindämmung der übertragbaren Krankheit erforderlich ist.

Eines vorweg: Nach derzeitiger Auffassung dürfte es kaum zulässig sein, eine völlige Ausgangssperre zu verhängen. Darunter wäre das Verbot zu verstehen, das Haus oder die Einrichtung überhaupt nicht mehr zu verlassen – auch dann nicht, wenn es sich etwa um einen Notfall handelt.

Da dadurch die Grundrechte fast vollständig außer Kraft gesetzt würden, ist eine ganzheitliche Ausgangssperre derzeit weder als verhältnismäßig zu betrachten, noch ist sie ohne Alternative notwendig.

Jetzt werden Sie einwenden, wieso hat dann beispielsweise eine Gemeinde in Bayern eine Ausgangssperre verhängt? Dabei muss allerdings betrachtet werden, dass es sich um eine mildere Form einer „Ausgangssperre“ handelt: Weiterhin möglich sind bspw. die Wege von und zur Arbeit, Einkäufe für den Haushalt, Arztbesuche, Geldabheben und Hilfeleistungen für Bedürftige. Untersagt wird lediglich das „Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund“. Die vorgenannten Beispiele zeigen, welche Gründe als „triftig“ angesehen werden. Diese „triftigen Gründe“ kann jede Gemeinde allerdings wie sie es für richtig hält abändern, erweitern und beschränken, sofern Grundrechte nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Natürlich können die Regelungen von Gerichten überprüft werden. Der Bürger ist nicht rechtsschutzlos.

Was wäre wenn?

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Ansprache den Bürgerinnen und Bürgern ins Gewissen geredet. Dies auch, um eine Ausgangssperre nach österreichischem oder italienischem Beispiel zu verhindern. Was könnte der Staat aber unternehmen, wenn die zuletzt Ergriffenen mittel von den Bürgerinnen und Bürgern nicht ausreichend befolgt werden? Um eine ggf. mit Strafen durchsetzbare Anordnung an die Bürgerinnen und Bürger käme man dann kaum mehr herum.

Infektionsschutzgesetz

Im Falle von grassierenden Infektionskrankheiten ist hauptsächlich das Infektionsschutzgesetz (IfSG) anzuwenden. Darin werden die zuständigen Behörden zu den erforderlichen Maßnahmen bei dem Versuch der Eindämmung einer Krankheit ermächtigt. In Frage kommt für eine denkbare Ausgangssperre § 28 IfSG. Darin wird es den Behörden ermöglicht, notwendige Schutzmaßnahmen – insbesondere die Beobachtung, Quarantäne und ein berufliches Tätigkeitsverbot – zu verhängen, soweit und so lange es zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit erforderlich ist (§ 28, 29-31 IfSG).

Insofern käme grundsätzlich als geeignetes Mittel die Ausgangssperre in Betracht. Der Wortlaut der oben zitierten Norm passt allerdings nicht konkret auf die aktuell gegebene Epidemie. Es ist wahrscheinlicher, dass der Regelung der Gedanke zu Grunde lag, bei den Personen, gegen die sich die behördlichen Maßnahmen richten, mag es sich zwar um viele Personen handeln, jedoch nicht, dass sich die Maßnahmen gegen die Bürgerinnen und Bürger eines ganzen Bundeslandes richtet. Es stellt sich daher die Frage, ob der Wortlaut der Norm so ausgelegt werden kann, dass auch eine Ausgangssperre umfasst ist. Das wäre der Fall, wenn man eine Ausgangssperre als „allgemeingültige Quarantäne“ auffassen kann.

Um eine solche allgemein Anordnung treffen zu können, müsste es sich bei den betroffenen Personen mindestens um „Ansteckungsverdächtige“ handeln. Damit die Behörden jedoch nicht willkürlich handeln, muss es wahrscheinlicher sein, dass die Person infiziert ist, als dass sie es (noch) nicht ist. Bei den derzeitigen Ansteckungszahlen von rund 15.300 Infizierten gegenüber einer Bevölkerung von 80 Millionen Deutschen, ist dies noch nicht gegeben. Die allgemeine Anordnung würde daher ausscheiden.

Denkbar wäre aber, dass eine Ausgangssperre dann vom Gesetz gedeckt ist, wenn sie sich auf § 28 Absatz 1 Satz 2, 2. Halbsatz IfSG bezieht: Diese Vorschrift ermächtigt zu Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit und verpflichtet die Betroffenen, den Ort an dem Sie sich befinden nicht zu verlassen, bis die Schutzmaßnahmen durchgeführt sind. Allerdings ist diese Vorschrift eher dazu eingeführt worden, Personen in betroffenen Einrichtungen bis zu einer Dekontamination zu halten, beispielsweise in einem Kreuzfahrtschiff oder Flugzeug. Diese Ermächtigung kann eine Ausgangssperre daher auch nicht begründen.

Wenn sich also keine konkreten Ermächtigungen finden lassen, behilft sich der Jurist oft mit sogenannten Generalklauseln. Darunter versteht man weit gefasste Vorschriften, die man – natürlich in gewissen Grenzen – für einen konkreten Fall heranziehen kann, auch wenn der Anwendungsfall nicht genau auf den Wortlaut zutrifft. Damit nicht das, was nicht passt, passend gemacht wird, muss sich der Gesetzgeber und die Behörde an gewisse Grenzen halten. Die Möglichkeiten des Gesetzgebers verengen sich schnell, wenn sehr intensiv in Grundrechte eingegriffen wird. Da nun durch eine Ausgangssperre besonders stark in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 in Verbindung mit Art. 104 Grundgesetz) eingegriffen wird – es handelt sich um eine Freiheitsbeschränkung – bedarf es eines speziellen, darauf zugeschnittenen Gesetzes. § 28 IfSG scheint darauf gerade nicht zugeschnitten zu sein, wenn die gesamte Bevölkerung Adressat der Ermächtigung wäre.

Polizeirecht

Das Polizeirecht Baden-Württemberg kennt keine Ermächtigung zur Verhängung einer Ausgangssperre. Speziell geregelt sind dagegen etwa Platzverweise und Betretungsverbote. Das Abriegeln ganzer Verwaltungsgebiete ist nicht vorgesehen. Gegen Personen, die eine Gefahr für andere darstellen, kann natürlich trotzdem wie bisher mit allen polizeilichen Mitteln vorgegangen werden.

Katastrophenschutzrecht

Wenn der Katastrophenfall ausgerufen wird, sehen die Katastrophenschutzgesetze der Länder verschiedene Zuständigkeiten vor und regeln, welche Länder oder Verwaltungen einander aushelfen können und müssen. Konkrete Ermächtigungsgrundlagen für eine Ausgangssperre finden sich dort jedoch nicht.

Ein Epidemie-Gesetz

Der Staat und die Länder könnten auf die beispiellose Situation in Anbetracht des Virus mit der Einführung eines neuen – genau darauf zugeschnittenen – Gesetzes reagieren. Dann wäre eine geeignete gesetzliche Grundlage für eine Ausgangssperre geschaffen. Weiter offen bliebe trotzdem die Frage, ob das Gesetz verfassungsgemäß wäre. Dies darf dann bezweifelt werden, wenn das Verlassen der Wohnung absolut untersagt wird (siehe oben). Dass es durchaus möglich ist, ein Gesetzgebungsverfahren in Rekordzeit durchzuführen, das normalerweise Monate oder Jahre in Anspruch nehmen würde, macht zum Beispiel Österreich vor (sog. COVID-19-Maßnahmengesetz). Dass inhaltsgleiche Gesetze auch hier eingeführt werden, ist seitens der Bundes- oder Landesregierung noch nicht signalisiert worden.

Gesunder Pragmatismus

Mangels einer eindeutigen Regelung in der aktuellen Gesetzeslage erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Gerichte entgegen der hier vertretenen Auffassung in zukünftigen Verfahren eine Ausgangssperre als verhältnismäßig und durch das Infektionsschutzgesetz gedeckte Schutzmaßnahme ansehen. Schlicht, weil es im Falle eine Epidemie die einzige verbleibende Möglichkeit des Staates oder Landes war, um seine Bevölkerung und die Schwächsten unserer Solidargemeinschaft zu schützen. Hoffnung besteht, dass eine Ausgangssperre bloße Theorie bleibt, da sich die Bürgerinnen und Bürger in eigener Verantwortung an die empfohlenen Verhaltensregeln halten und wir so gemeinsam den Virus eindämmen können.

Die Quarantäne des Einzelnen

Zu trennen von der oben geschilderten Ausgangssperre ist die Quarantäne von Personen, die aufgrund von Tatsachen krankheitsverdächtig sind. Hier kann die Behörde ohne Weiteres eine „Ausgangssperre“ in Form der Quarantäne verhängen (§§ 28, 30 IfSG) und gegebenenfalls auch mit Zwangsmitteln durchsetzen. Adressat des Behördenhandelns ist dann jeweils der Infizierte oder Krankheitsverdächtige.

Informationsstand: 20.03.2020